Die von Markus Keuschnigg kuratierte Sektion hat sich dem Fantastischen Film verschrieben. Die Vielfalt und Originalität des europäischen Genrefilms garantiert bewusstseinserweiternde Kinoerlebnisse.
Nieder mit dem Inhaltismus!
Markus Keuschnigg
Die schönsten, also erinnerungswürdigsten Filme sind doch die, denen mit Worten kaum beizukommen ist, bei denen Synopsen versagen und Synapsen stimuliert werden, solche, vor denen die Algorithmen kapitulieren. Auch heuer richtet die Nachtsicht wieder ein Fest aus für Arbeiten voller erquicklicher Logiklöcher, ausgedehnter Erzählellipsen und ausgeleierter Handlungsbögen, die einen allerdings atmosphärisch beglücken, sensorisch überwältigen und ästhetisch herausfordern. Im Jahrgang 2024 werden Hausdächer, Autos und Pferde (!) von Säureregen zerfressen, findet eine schauergotisch sensibilisierte Klosterschülerin in einer unendlichen Nacht zu sich, werden strenggläubige US-Kernfamilienväter gekreuzigt, kriechen die Dämonen der Vergangenheit in die Gegenwart, wird ein idyllisches Alpenpanorama zur Klischee-Kulisse für saftigen Heimat-Horror. Gemein ist all diesen filmischen Nachtschattengewächsen, dass sie zwar anhand einer basalen Narration dem aristotelischen Drama-Ideal folgen, vor allem aber auf audiovisuelle Kunstfertigkeit zwischen Exzellenz, Extravaganz und Exzess bauen. In Tilman Singers CUCKOO versetzen Töne das gesamte Bild in Vibration, woraufhin sich ganze Sequenzen wiederholen, während in KRAZY HOUSE je nach Handlungsebene und mentaler Befindlichkeit der Hauptfigur die Bildformate gewechselt werden und LA MORSURE / BITTEN einen in das hypersinnliche, texturversessene Fantasia des europäischen Genrefilms der 1960er- und 70er-Jahre zurück stürzt. Nur kunstferne Bürokrat*innen und Rechenschieber*innen, die immerzu den guten Film mit guter Geschichte und gutem Allem suchen, wo doch der verhaltensauffällige (fast) immer der bessere ist, monieren angesichts dieser radikal zugeschnittenen filmästhetischen Wuchtbrummer noch deren allfällig fehlenden Sinnzusammenhang. In der Nachtsicht stopfen wir keine Logiklöcher, wir stürzen uns in sie, ersehnen das Irrationale und Unmäßige und schreien: Nieder mit dem Inhaltismus! Her mit den narrischen Filmen! (Markus Keuschnigg)