Architektur und Gesellschaft 2011

Stadt-Migration-Identität

(Lotte Schreiber, Kuratorin)

Das Bild der modernen europäischen Stadt ist vom räumlichen Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen und Religionen dieser Welt geprägt. Migration gehört zum Selbstverständnis von Urbanität und bildet einen bestimmenden Faktor der Realität in unseren Städten. Die europäische Großstadt ist ein Produkt der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und wäre ohne den Zuzug von außen als System gar nicht denkbar. Migration ist Bewegung – der Motor, die treibende Kraft der Stadtentwicklung. Blicken wir auf die urbanen Wirklichkeiten im gegenwärtigen Europa, stellen wir fest, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur sozial an den Rand gedrängt werden, sondern sich auch räumlich mit den Randlagen innerhalb eines Stadtgefüges begnügen müssen – Exklusion, Segregation und Ghettoisierung werden zu unumgänglichen Begriffen im Jargon der Stadtforschung.

Bereits zum zweiten Mal präsentiert das afo architekturforum oberösterreich in Kooperation mit Crossing Europe ein FilmProgramm, das in diesem Jahr auf unterschiedlichen Ebenen das Thema von Stadt–Migration–Identität beleuchtet und die Lebensbedingungen von MigrantInnen in Europa aus der Nähe betrachtet: vier Filme – vier europäische Städte – vier Geschichten. Die Geschwister Lial, Hassan und Maradona leben seit ihrer frühesten Kindheit im Berliner Bezirk Neukölln – doch ihre Familie hat keinen sicheren Aufenthaltsstatus und ist permanent von der Abschiebung in den Libanon bedroht. Abseits gängiger Klischees über MigrantInnen in Problembezirken erzählen die Filmemacher Agostino Imondi und Dietmar Ratsch in Neukölln Unlimited vom Leben dreier Jugendlicher, die um das Bleiberecht ihrer Familie kämpfen.

Jugendliche mit Migrationshintergrund spielen auch in Bruno Molls Pizz a Bethlehem die Hauptrolle – der Schweizer Filmregisseur begleitet neun junge Frauen aus der Berner Vorstadt durch ihren Alltag, befragt sie zu ihrem Leben und darüber, was es heißt, fremd zu sein in jenem Land, in dem man aufgewachsen ist. Ausgangspunkt dieser ungeschminkten Portraits bildet die gemeinsame Fußballmannschaft, die einen zentralen Bestandteil im Leben der Mädchen darstellt.

Fragmentarisch ist die Erzählweise von Qu`ils Reposent en Révolte (des Figures de Guerre) des französischen Filmemachers Sylvain George. In eindringlichen Schwarzweiß-Bildern berichtet er von den Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der französischen Hafenstadt Calais. Ein Heer von jungen Männern lebt dort im Untergrund, ohne Papiere, in beständiger Angst davor, entdeckt zu werden. George begleitet sie über den Zeitraum von drei Jahren mit der Kamera, hält sich respektvoll im Hintergrund und ist dennoch ganz nah bei ihnen.

In permanenter Angst vor Abschiebung leben auch die zahllosen Roma-Familien, die der in Frankreich lebende portugiesische Filmemacher José Vieira in seinem Film Le Bateau en Carton behutsam und vorurteilslos porträtiert. Es sind Heimatlose, die vor Armut und Diskriminierung aus ihrem Herkunftsland Rumänien geflohen sind und nun in improvisierten Barackensiedlungen entlang der Autobahn rund um Paris gelandet sind. Doch auch dort sind sie unerwünscht.

 

Filme der Sektion: