Architektur und Gesellschaft 2018

Raum, Macht, Kontrolle

(Lotte Schreiber, Kuratorin)

Architektur war immer eines der einflussreichsten Kommunikationsinstrumente jener, die über die Mittel verfügten und auch die Macht besaßen, diese anzuwenden. „Architektur wird von Politikern gezielt eingesetzt, um zu verführen, zu beeindrucken und einzuschüchtern“, notierte der britische Architekturtheoretiker und Leiter des Londoner Designmuseums Deyan Sudjic. Jede politische Kultur bediente sich des Bauens auch, um große Gesten zu setzen. Seit Jahrtausenden lassen sich die Herrscher dieser Welt Denkmäler in Form prahlerischer Bauwerke errichten – von den Pyramiden der Pharaonen bis hin zu den heutigen Tempeln der Macht in Form megalomaner Gebäude für multinationale Konzerne oder politische Machthaber aller Art. Raum formt sich aus gesellschaftlichen Machtverhältnissen heraus. Wer die Gestaltung von Raum vorgibt, kontrolliert ihn auch. Macht artikuliert sich demnach ebenso deutlich über die Markierung von Territorien in Form von Grenzmauern und Wachtürmen sowie über die Beschneidung öffentlichen Raums und dessen rigorose Kontrolle und Überwachung.

Vor diesem Hintergrund präsentiert sich die diesjährige Programmsektion „Architektur und Gesellschaft“ auch heuer wieder in vier Programmen. Unter dem aktuellen Themenschwerpunkt beleuchten vier Dokumentar- und zwei Kurzfilme architektonische Räume und abgesteckte Territorien, die uns unterschiedliche politische, soziale und ökonomische Machtrelationen vor Augen führen. Die architektonische Selbstdarstellung der totalitären Regimes des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich sowie des Faschismus in Italien prägt bis heute unzählige Städte und Landstriche in Europa. Benito Mussolinis Machtbesessenheit etwa spiegelt sich in den Bauten der rationalistischen Moderne, die sich nahezu flächendeckend über ganz Italien erstrecken. Einer davon, der „Corte d’Assise“, der Mailänder Schwurgerichtshof, ist Schauplatz des prämierten Dokumentarfilms La Convocazione von Enrico Maisto, der einen faszinierenden Einblick in ein Geschworenen- Auswahlverfahren gewährt. Im Fokus des davor programmierten Kurzfilms Due von Riccardo Giacconi liegt der in den 1970er Jahren errichtete Stadtteil „Milano Due“, das erste große Investmentprojekt Silvio Berlusconis.

Eine behutsame Annäherung an den Verbrechensort KZ Buchenwald gelingt Siegfried Ressel und Hannes Richter mit Der Mensch ist ein schöner Gedanke. Volkhard Knigge und Buchenwald Eingeführt von ruhigen Aufnahmen der baulichen Fragmente und deren trockener Beschreibung, fesseln vor allem die Gespräche mit Volkhard Knigge, Historiker und Stiftungsdirektor der Gedenkstätte, der über die Bedeutung dieses Erinnerungsortes reflektiert.

Die Macht der Medien thematisiert Letztes Jahr in Utopia von Jana Keuchel und Katharina Knust. Der Film rekonstruiert ein medial inszeniertes Gruppen-Experiment am damaligen Ort des Geschehens und öffnet damit den Blick auf die dahinterliegenden Machtstrukturen.

Inmitten der sibirischen Taiga, 700 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt, liegt Braguino, Schauplatz des gleichnamigen Dokumentarfilms von Clément Cogitore. Er erzählt auf poetische Weise von zwei zerstrittenen Familienclans, deren Grundstücke ein Zaun trennt, und fängt damit einen erschreckenden Moment des Versagens von Zivilisation ein. Von Machtstrukturen, die sich über die Kontrolle von Raum manifestieren, handelt auch der pointierte Kurzfilm Nettoyer Schaerbeek von Farah Kassem, der als Vorfilm zu Braguino läuft.

 

Filme der Sektion: