Biographie
Maja Weiss
Geboren 1965 in Novo Mesto (Slowenien). Studium an der Filmakademie Ljubljana (AGRFT) von 1984 bis 1988. Dreht mehrere Kurzfilme und mittellange Dokumentarfilme, die mit zahlreichen Auszeichnungen im In- und Ausland gewürdigt werden. Ihr erster (und bis jetzt einziger) abendfüllender Spielfilm VARUH MEJE (GUARDIAN OF THE FRONTIER, 2002) ist der erste slowenische Kinofilm, bei dem eine Frau Regie führte. VARUH MEJE gewinnt den Manfred-Salzgeber-Preis als innovativster Film der Berlinale 2002. CHILD IN TIME, ihr neuester Kurzfilm, wird auf der Berlinale 2005 uraufgeführt. 1993 heiratet sie Peter Braatz; seitdem arbeiten sie gemeinsam an zahlreichen Filmen und haben zwei Kinder.
Peter Braatz (aka Harry Rag)
Geboren 1959 in Solingen (Deutschland). Zwischen 1982 und 1988 Studium an der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin (DFFB), arbeitet seitdem ausschließlich als freischaffender Produzent, Regisseur und Cutter für seine eigene Taris Filmproduktion und produziert zahlreiche kurze und mittellange Dokumentar- und Experimentalfilme. Seit 1977 ist er außerdem Sänger und Songwriter bei der deutschen Kultband S.Y.P.H. 1985 ist er Hospitant bei David Lynch für die Produktion von BLUE VELVET in Wilmington, USA; im darauf folgenden Jahr arbeitet er als 2. Unit-Regisseur bei Wim Wenders‘ DER HIMMEL ÜBER BERLIN. Außerdem arbeitet er leidenschaftlich als Fotograf. 1993 heiratet er Maja Weiss; seitdem arbeiten sie gemeinsam an zahlreichen Filmen und haben zwei Kinder.
Essay
Filmen als „way of life“
von Jurij MedenEs gibt mehrere gute Gründe, warum das Crossing Europe Tribute dieses Jahr Filme von Maja Weiss und Peter Braatz präsentiert. Zum einen ist ihr kreativer Output in weiten Teilen der Filmwelt derzeit (ungerechtfertigter Weise) relativ unbekannt.
Zum anderen steht in den meisten Fällen das Durchqueren, die Grenzüberschreitung im Zentrum ihrer filmischen Unternehmungen: sowohl im physischen Sinn (ihren Visionen folgend, überqueren sie immer wieder geografische Grenzen) wie auch im filmischen (häufig überschreiten sie die bestehenden Grenzen zwischen verschiedenen Filmgattungen und -genres, womit sie ihre eigenen, einmaligen Universen schaffen). Und nicht zuletzt mussten Peter (der ursprünglich aus Deutschland stammt) und Maja (aus Slowenien) Europa durchqueren, um sich zu finden und zusammen bleiben zu können.
Im Gegensatz zu anderen, berühmteren filmschaffenden Paaren, wie z.B. Straub/Huillet oder Gianikian/Ricci Lucchi, haben Maja Weiss und Peter Braatz (aka Harry Rag aka Petrus Braatzi) die meisten ihrer Filme getrennt gemacht; dennoch weist ihr Gesamtwerk so viele thematische/ stilistische Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten auf, dass es sich lohnt, die Arbeiten der beiden parallel zu betrachten. Zunächst gehören Maja und Peter beide jenen ungewöhnlichen Filmschaffenden an, die sich weigern, Filmemachen (bloß) als Geschichtenerzählen, alltägliche Arbeit, Hobby oder Mittel für Experimente zu betrachten, sondern es als nichts weniger als eine Lebensart verstehen: eine bestimmte Art und Weise des Existierens in der Welt, wodurch die Kameralinse nicht nur zur stetigen Verlängerung des Blicks wird, sondern auch eine Grundlage für das Erfahren eben dieser Welt und das Nachdenken darüber.
So ziehen sich durch ihre gesamten Filmarbeiten – ob in Fiktion, Dokumentation oder offen experimentellen Formen (die meisten Filme von Peter verwehren sich jeder Zuordnung und bleiben immer im Grenzbereich zwischen mindestens zwei bestehenden Kategorien) – zutiefst persönliche Zuneigung und Engagement. Manchmal sind sie auf Ereignisse großer Tragweite und Ausnahmeerscheinungen in der Gesellschaft gerichtet (der Fall der Berliner Mauer, die tragischen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe, Nationalismen am Balkan), manchmal beziehen sie sich auf „kleinere“, intimere Sphären (das Sex Pistols Reunion-Konzert in Ljubljana, eine Mutter-Sohn-Beziehung, Geschichte und Zukunft, den Mythos der „Andersheit“).
Außerdem verbindet die Filme von Maja und Peter eine besondere Wahrnehmung der unterschiedlichen Mittel des filmischen Ausdrucks. Besonders wirksam erscheinen Bild und Ton, wenn sie gegensätzlich funktionieren, wobei sie sich gelegentlich auf eine ungewöhnliche, unerwartete Weise vermischen. Aus diesem Denken entsteht eine filmische Landschaft, in der der Ton das Bild nicht verstärkt, unterstreicht oder interpretiert, und umgekehrt; stattdessen dient der Sound als Kontext für das Bild und das Bild als Kontext für den Sound. Jedes Element kristallisiert sich einzeln nach und nach als eigenständige Skulptur heraus, wobei sie gemeinsam ein Spannungsfeld aufbauen: eine fruchtbare und wertvolle Grundlage für das eigene Erfahren und das freie Interpretieren seitens der Betrachtenden. Letzteres gilt für fast alle Filme von Peter (wobei das beste Beispiel sein einstündiger, experimenteller Dokumentarfilm NO FRANK IN LUMBERTON ist – vielleicht der ausgefallenste Film über das Filmemachen, der, in den 80er-Jahren auf den Sets von BLUE VELVET gedreht, auf geniale Weise den heutigen Kultstatus von Lynchs Film vorwegnahm) und noch ausgeprägter für die späteren Arbeiten von Maja (GUARDIAN OF THE FRONTIER, CHILD IN TIME), in denen wir in dichte Klanglandschaften und Bilder eintauchen.
Selbstverständlich bestehen auch viele Unterschiede zwischen den Filmstilen von Peter und Maja, die genauso aufschlussreich sind wie die eben beschriebenen Gemeinsamkeiten. Majas Filme, eher einteilbar in Dokumentation und Fiktion, werden gewöhnlich von starken (immer sozial engagierten) politischen Zielsetzungen vorangetrieben und fokussieren klar auf das behandelte Thema: in jedem Film steckt sie von Beginn an ihr Interesse ab und lässt uns ihre Vorlieben deutlich sehen. Viele Filme von Peter – die regelmäßig seinen persönlichen Leidenschaften wie Musik (Damo Suzuki, Lee “Scratch“ Perry, Gary Lucas), Kino (David Lynch, Majas Filme), Reisen (Sibirien, Japan, Amerika) gewidmet sind – erwecken den Anschein, der Regisseur hätte mit einer akut verkürzten Aufmerksamkeitsspanne zu kämpfen. Sein Blick und seine Gedanken sind stets in Bewegung, jedes Bild repräsentiert auch – neben seiner eigentlichen Natur – Spuren eines verzweifelten Versuchs, die Zeit anzuhalten; einer zum permanenten Scheitern verurteilten Sehnsucht danach, die tiefsten Geheimnisse zu enthüllen und jeden Moment in seiner ganzen Fülle zu verstehen. Doch ist das Endergebnis niemals ein unreflektiertes Chaos, sondern eine Komposition verschiedener Motive, die unter- und oberhalb der Oberfläche von Peters Filmen lauern und schließlich immer eine Einheit bilden; auch wenn diese „Einheit“ meistens „lediglich“ ein emotionaler Geisteszustand ist – ein Versuch, authentische Erfahrung mit reinen und inhärenten filmischen Mitteln zu beschreiben – und weder sachliche Information noch rationaler Kommentar.
Ein wunderbares Beispiel dieser „Strategie der Ruhelosigkeit“ findet sich in Peters Dokumentarfilm DDR – OHNE TITEL, auf den ersten Blick ein herkömmliches Roadmovie über die ehemalige DDR, das wenige Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer gedreht wurde. Während einer langsamen Fahrt über einen verlassenen Platz einer tristen Kleinstadt schwenkt Peters Kamera wie zufällig nach unten und blickt kurz auf die Straße, die schnell vorbeihuscht: die kleinen Granitquadrate flimmern und bilden fragile, schöne, sich ständig verändernde Formen und Muster. Was dann folgt (offensichtlich durch dieses kurze Abschweifen des Blicks inspiriert), ist eine ganze Aneinanderreihung ähnlicher Aufnahmen – von Ausbrüchen hypnotischer Musik begleitet – in denen all jene sozialen und gesellschaftlichen Untertöne verschwunden sind, die in der vorherigen Szene einer verlassenen halburbanen Landschaft vorherrschend waren. Die Passage, die wir jetzt betrachten, ähnelt vor allem Ausschnitten aus Filmen von Stan Brakhage (mit dem Unterschied, dass Peter diese schillernde Wirkung „natürlich“ erzielt, ohne das Material nachträglich zu bearbeiten). Im Bruchteil einer Sekunde vollziehen wir nicht nur eine vollkommen organische Verschiebung vom Objektiven zum Subjektiven, vom Konkreten zum Abstrakten, vom Historischen zum Persönlichen, sondern werden auch daran erinnert, dass das Politische und das Private nicht voneinander getrennt werden können.
Der Drang, der Maja und Peter auszeichnet, sich ständig visuelle Notizen zu machen – ihre Umgebung um jeden Preis aufzunehmen und zu reflektieren –, wird vielleicht am besten von Stepan Benda in einem kleinen Heft, das ihre gemeinsame Unternehmung FOTO FILM 2001 (eine bewegende/bewegte Erforschung des Phänomens des statischen Bildes) begleitet, zusammengefasst: „Die Spiegelung und nicht die Form regiert die Welt. Diese erste, zu Ende geführte Handlung des Bewusstseins war zugleich die erste Produktion. Sie leitete eine ungeheure Kette von Freveltaten ein, die wir die Geschichte nennen. Und das Bild war immer dabei. Das Bild, diese fortwährende Verdoppelung dessen, was wir seit dem die Welt nennen, begleitet jede unserer Handlungen. Sie ist die Qual und der Trost der Erinnerung zugleich. Sie ist die Sucht des Bewusstseins nach der Materie, die Sucht des Nichts nach der Fortdauer und Fülle.“ Das logische Ergebnis dieser harmonischen Dreiecksbeziehung (Maja, Peter und die Kamera) ist eine ganze Reihe von Nachkommen: Obwohl beide noch jung sind, haben sie zusammen bereits mehr als fünfzig Filme unterschiedlicher Länge, Charakteristik und Anspruch geschaffen. Dementsprechend ist die von Crossing Europe gebotene Auswahl keineswegs vollständig, dennoch bietet sie eine einmalige Gelegenheit und mehr als nur eine kleine Kostprobe aus dem Schaffen unseres Crossing Europe Couples.